Die zweite Ausgabe des Steppenwolfs war ein unfassbar schönes Abendteuer. Nach der phantastischen Premiere waren die Startplätze am 01. Januar schon nach weniger als 24 Stunden ausgebucht. Am Ende starteten wir mit 95 Starter:innen am 12. Mai um 8 Uhr vom Bernauer Steintor nach Usedom. 64 davon waren auf dem etwas leichteren aber doch 500 km langen Shorttrack unterwegs, 31 weitere probierten sich auf dem originalen Wildtrack über 700 km. Beide Tracks trafen sich immer wieder an den drei gemütlichen Checkpoints.

Das war der #Steppenwolf22

Finishers:

Shorttrack (500 km)

Gestartet: 64 – Gefinisht: 58

Burkhard P. – Berlin
Christian D.
Christina – Edda Merckx – Berlin
Christine – Kandie Gang – Hamburg
Christoph – Gravel Ost – Berlin
Daniel B. – GravelPunx
Daniel H.
Dorothea – Berlin
Felix – Berlin
Flo – Berlin
Florian S. – Berlin
Frank – Wildhood Adventure Club – Berlin
Franziska v.d.S. –
Gerrit H. – Berlin
Henning t.S. – Celle
Isabell G.
Jakub
Jannes K.
Johanna – Garry – Rostock
Jonas – Zopf oder kahl – Berlin
Juliane H. – Dresden
Ludwig – Narbendynamo Biesenthal – Bernau
Kristian – Berlin
Kristoffer – München
Laura I. – Berlin
Laura T. – Frankfurt (a.M.)
Lena T. – Edda Merckx – Berlin
Lennard M. – Hattstedt
Leopold – Gravelost – Berlin
Lisa B. – Dresden
Lucas – Narbendynamo Biesenthal – Bernau
Mai – Dynamo Dosenbier Radsport – Berlin
Manuel – Zopf oder Kahl – Berlin
Marco G. – Berlin
Markus – Narbendynamo Biesenthal – Berlin
Marei M. – Heidelberg
Mario K. – Team ExBMO – Berlin
Marius L. – Kassel
Martin G. – Gravelost – Berlin
Matthias S. – Panketal
Matthias R. – Hamburg
Melina B. – Berlin
Mike B. – Wildhood Adventure – Berlin
Nils K.
Philipp – Hamburg
Piet – Berlin
René – Berlin
Robby B. – Bikemailorder.de – Berlin
S. Roetger – Neubrandenburg
Sarah N.
Selina B. -Wildhood Adventure
Simon – Hamburg
Steffan G. – Berlin
Steffen K. – Berlin
Susanne B. – Berlin
Sven W. – Neustrelitz
Thomas K. – Berlin
Tilmann – Garry – Rostock
Tim B. – Berlin
Ulrich S. – Berlin
Vincent – Dynamo Dosenbier Radsport – Berlin
Wieslaw – Berlin

Wildtrack (700 km)

Gestartet: 31 – Gefinisht: 24

Silas – Wolf of Waldstreet – Bayreuth
Christian M. – Carlsberg
Elke – Nürnberg
Fridolin S. – CCCCC – Berlin
Hannes R. – AußerRandUndBande – Rostock
Immanuel – CCCCC – Berlin
Jack – Metal Aud Metal – Berlin
Kilian – 2_zoll
Lars S. – Boizenburg
Lucas – Die fliegenden Rappen – Hattingen
Matej Ž. – Lozorno (SVK)
Michael – Garmisch-Partenkirchen
Michel K.
Miguel – Münster
Mirko – Berlin
Nis A. – Berlin
Olaf F. – Braunschweig
Ralf H. – Abseits & Draußen – Esslingen
Ramon B.
Reinhardt – Chorin/Brodowin
Sascha – CxB – Berlin
Stefan – Eltville
Stefan K. – Hamburg
Tavy H. – Berlin
Thomas E. – Wattwürmer – Leipzig
Thomas S.
Uwe W. – 2_zoll – Berlin
Vito S. – Berlin

Mareis #Steppenwolf22 auf dem Shorttrack

Zunächst möchte ich einmal sagen, wie unglaublich großartig dieses Event ist. Es ist mein erstes Mal auf einer Veranstaltung dieser Art und für mich das perfekte Einsteiger:innen-Event. Die Strecke ist recht überschaubar und die Etappen (wenn man es an 4 Tagen fährt) nicht allzu groß. Außerdem gibt es Checkpoints, an denen man auch übernachten kann. Ich finde den Gedanken allein draußen zu schlafen zwar reizvoll, aber auch gruselig. Vielleicht höre
ich auch zu viele True-Crime-Podcasts – es hatte mich allerdings bis dahin etwas davon abgeschreckt solche Reisen zu machen.

Der Tag vor der Abfahrt:

Ich könnte jetzt auch von den Wochen der Vorbereitung vor dem Event schreiben, wie ich mein Setup getestet und meine Packliste verfasst habe – tu ich nicht, habe ich nämlich nicht gemacht. Man hat ja auch ein Leben neben dem Radfahren und Radfahren neben dem Steppenwolf. Als ich den Tag vorher allerdings die ganzen Posts auf Instagram sehe, von Mitfahrenden, die fein säuberlich all ihre (gut getestete) Ausrüstung nebeneinander aufgereiht haben, bekomme ich doch ein bisschen Muffensausen. Ich habe nicht einmal getestet, ob all mein Kram überhaupt in meine Taschen passt. Gestern noch habe ich mir ein Zelt und eine Lenkerrolle ausgeliehen. Hier also ein ehrliches Foto meiner Packsession am späten Nachmittag vor dem Tag der Abreise:

Am nächsten Morgen fahre ich also mit der Bahn (es regnet schrecklich) nach Bernau und treffe im Zug noch eine Mitfahrerin. Sie hat sowas schon öfter gemacht und wirkt deutlich besser vorbereitet als ich. Schön, dass ich gleich noch eine Frau treffe. Das ist kein Zufall, denn die Organisator:innen haben besonders darauf geachtet das Event für Frauen zugänglicher zu machen. Nämlich durch die Bevorzugung von FLINTA* bei den Anmeldeplätzen und den gemeinsamen Checkpoints für alle, die genauso wie ich, nicht so gern allein zelten wollen und das betrifft nicht nur FLINTA*.

Der Regen klingt langsam ab und die Sonne kommt raus als wir vom Kaffee gestärkt, mit unseren schicken Startnummern in Bernau stehen – bereit zur Abfahrt. Das Starter:innen-Feld ist total durchmischt: Mountainbikes, Gravel, Cross-Räder, teuerste Markenausstattung bis zu Reise-Packtaschen an Gepäckträgern.

Nun geht es endlich los und alle ballern, wie bei fast jedem gemeinsamen Start. Ich merke schon jetzt, dass ich wohl etwas langsamer fahren muss, lasse mich aber noch ein paar Kilometer mitreißen. Es ist auch schön, dass ich einige Fahrer vom Social Grevet #2 (auch ein ganz wunderbares Event!) in Berlin letzte Woche schon kenne und ich unterhalte mich kurz mit ihnen. Die ersten wollen schon am Abend auf Usedom sein. Verrückt denke ich mir da noch und freue mich, dass ich nicht so eng geplant habe und mir jetzt keinen Stress machen muss. 4 Tage Zeit, 4 Etappen, 3 Checkpoints, 3 Übernachtungen. Darauf hatte ich mich eingestellt.

Der Tag ist perfekt. So fahre ich durch den Sonnenschein und durch wunderschöne Wälder, an blauen Seen, an Flüssen entlang durch den Tag und schaue weder auf die Zeit noch die Kilometer – einfach nur genießen. Ich esse meine vorgekochten Kartoffeln mit Salz und denke mir, dass ich den ganzen Tag nichts anderes machen will. Bei einer netten Gaststube kann ich mein Wasser auffüllen und die Toilette benutzen.

Kurz nach zwei Uhr nachmittags bin ich dann tatsächlich schon am Checkpoint 1. Ich bin eine der Ersten dort. Was mache ich jetzt? Hier warten? Es ist noch lang bis zum Abend, da würde ich in meiner Radkleidung ohne Bewegung bestimmt frieren. Außerdem will ich noch nicht aufhören zu fahren, es ist einfach zu schön! Ich habe Angst, dass ich es nicht zum zweiten Checkpoint schaffe, bevor es dunkel wird, will aber unbedingt weiterfahren, weil ich nicht möchte, dass der Tag so abrupt aufhört. Also mache ich mich wieder auf den Weg. Man kann wohl zum zweiten Checkpoint abkürzen und am nächsten Tag zum Ausgangspunkt zurück und dann erst um die Insel fahren.

Unterwegs sehe ich noch ein paar Mitfahrende mit den ersten Defekten, vor allem platte Reifen. Einer fragt mich nach einem Reifenheber, den ich ihm natürlich gern leihe. „Willst du die 18 Uhr Fähre bekommen?“ fragt er mich. „Äh, Nein… naja weiß ich nicht?“ – „Das könntest du auf jeden Fall noch schaffen!“. Gut – denke ich mir, das mache ich, dann fahre ich doch noch um die Insel und schlafe am zweiten Checkpoint. Ich fahre also gemütlich weiter. 17.30 merke ich, dass es jetzt langsam knapp wird. Ich muss einen Zahn zulegen damit ich rechtzeitig bei der Fähre bin. Ich rechne mir aus, dass ich einen Schnitt von ca. 27 km/h brauche, um es bis 18 Uhr zu schaffen. Kein Problem. Ich fliege bei 30-32 km/h entspannt über den traumhaften Asphalt. Einfach ein bisschen mehr treten, dann wird das schon und ich habe locker noch genug Zeit!
Naja, wohl nicht ganz! Ca. 4 km vor der Fähre geht es über einen stillgelegten Bahndamm. Und ob das noch Gravel ist, lässt sich wirklich diskutieren. Eine Rüttelpartie ohne Gleichen – ich komme nur noch mit Mühen und schrecklich langsam voran. Herrje, jetzt bloß keinen Platten bekommen. Die letzten Meter rase ich dann auf das Wasser zu, ich kann die Boote schon sehen. Aber wo ist die Fähre? Ich rufe der Dame im Imbiss zu, dass ich die Fähre unbedingt noch bekommen muss. Sie sagt mir, ich muss noch bei ihr ein Ticket kaufen und die Fähre käme ja noch einmal. „Aber ich muss jetzt diese Fähre hier bekommen“ sage ich, „… die nächste kommt ja dann“ erwidert sie. Bei mir kommt nur die Hälfte an und ich sage wieder, dass ich diese Fähre hier aber noch unbedingt nehmen will. Sie versucht mir wieder beruhigend zuzureden, dass ja noch eine kommt. Ich denke immer noch, dass die Fähre noch am Anlieger steht und rede weiter auf sie ein. Schließlich, nach viel Hin und Her merke ich endlich, dass ich tatsächlich zu spät bin – es ist 18.04 Uhr. Großartig. Naja, dann eben Abendsonne und eine Pommes. Nach und nach trudeln noch einige Andere am Ufer ein. Wir unterhalten uns mit der Dame vom Imbiss, trinken Cola und essen etwas. „Warum kommt ihr eigentlich alle von da hinten rechts?“ fragt sie. „Ihr seid doch nicht etwa den BAHNDAMM gefahren? Wieso habt ihr denn nicht den super Radweg hierher genommen“. Ja, das ist eine gute Frage. Wir lachen. Schon komisch irgendwie, so von außen betrachtet.

Drüben entscheiden drei von uns – P*, F* und ich – sich dann doch fürs Abkürzen zum zweiten Checkpoint, einer fährt noch weiter. Es wird langsam dunkel und meine Beine sind von dem Sprint über den Bahndamm dann doch sehr müde geworden. Der Gedanken daran noch ein bisschen rumzusitzen und gemütlich zu essen ist dann doch deutlich verlockender als Usedom im Dunkeln und das Schlafen alleine.

Am Checkpoint sind wir die ersten – kein Wunder wir sind ja auch 50 km weniger gefahren als die Anderen. Die erste Gruppe kommt dann aber noch hinzu, alle essen Pasta und legen sich schlafen. Ich denke daran, dass es am ersten Checkpoint bestimmt auch ganz nett ist – da wo jetzt alle sind. Aber ich verwerfe den Gedanken. Ich bin auch stolz auf meine Leistung. 210 km Gravel an einem Tag und die erste Frau auf Usedom fühlt sich wirklich sehr gut an, ich bin stolz auf mich.

Am nächsten Tag startet unser Dreiergespann von gestern zum Bäcker, wo ich nur einen Kaffee trinke und dann weiterfahre. Ich habe ja noch eine Menge vor heute. Ich halte bei Rewe, kaufe Brötchen, Margarine, Blaubeeren, einen Sojakaffee und Banane, gammle auf dem Parkplatz und schmiere meine Brötchen. Dabei schaue ich besorgt in den Himmel, der nicht so recht aufzuklaren scheint. Als ich fertig bin schenke ich die Packung Margarine einer älteren Dame, die mir entgegenkommt. Ich kann sie ja nicht mitnehmen. Die Frau freut sich total, meine Angst, sie könnte das Geschenk einer angebrochenen Margarine etwas merkwürdig finden war komplett unbegründet.

Die Strecke um Usedom ist großartig. Es geht durch kleine Waldabschnitte, an der Strandpromenade und sogar im tiefen Sand am Strand entlang hier natürlich eher zu Fuß. Sand gibt’s hier sowieso ordentlich viel. Nicht nur auf Usedom, sondern auch in Brandenburg. Das ist für mich mit einer der anspruchsvollsten Untergründe, da ich ihn noch nicht gut kenne und aufgrund meines vergleichsweise geringen Systemgewichts von 72kg doch recht viel wegrutsche. Aber ich werde besser – ich habe ja auch viel Gelegenheit zum Üben. Ich verstehe so langsam auch, warum das Event STEPPENwolf heißt. Der traurige Hintergrund ist, dass sich Brandenburg durch den Klimawandel tatsächlich nach und nach in eine Steppe verwandelt. Ich habe hier viel Zeit darüber nachzudenken, und man kann es schlecht ignorieren – insbesondere, wenn man die vielen trockenen Waldabschnitte sowie von Schädlingen befallenen Bäume sieht. Das macht mich auch traurig und sentimental, schade, dass wir so unglaublich schlecht darin sind unsere Fehler einzusehen und etwas zu verändern, damit unsere Natur nicht weiter zerstört wird.

Gegen Mittag bin ich wieder am zweiten Checkpoint und kann nun auch endlich den Stempel auf meine Karte drücken hier treffe ich auch P* wieder, mit dem ich gestern Abend nach der Fähre abgekürzt habe. Zu zweit fahren P* und ich weiter Richtung Checkpoint drei – wir warten nur noch kurz einen kleinen Schauer ab. Das Wetter ist heut nämlich insgesamt lange nicht so schön wie gestern. Die Wolkendecke ist recht dick und es riecht immer wieder nach Regen, kurz vor der Fähre werden wir zum ersten Mal nass. Unterwegs treffen wir noch S* und S*. Die beiden fahren ein ähnliches Tempo und wir verquatschen uns. Es geht, wie fast immer, um Fahrräder. Kurz vor Torgelow fängt es an zu regnen. Wir werden so richtig nass. In Torgelow angekommen sind wir in Regenwasser getränkt. Ich hatte nur eine Regenjacke dabei, da der Wetterbericht ursprünglich keinen Regen vorhergesagt hatte.
Wir finden einen Döner, ich esse Pommes, die anderen Pizza und Nudeln. Wir verbringen hier eine ganze Weile, da es wieder regnen soll. Wir spüren alle die Kilometer, die uns in den Beinen stecken. 300 bis hierhin um genau zu sein. 40 haben wir noch vor uns. Als wir wieder losfahren sind meine Muskeln ganz steif, aber ich bin noch recht fit. P* ist die Pizza nicht gut bekommen und man merkt ihm an, dass er keine Lust mehr hat. Ich fahre also viel vorneweg – ich bin guter Dinge. Mir geht es gut und die kleinen verschlafenen Städte auf unserem Weg lassen mich meiner Privilegien nochmal besonders bewusst werden. Ich darf mit meinem Rad nach einem kurzen Einkauf einfach weiterfahren, weiter in meiner heilen Welt. So langsam könnte man schon ankommen aber das Wetter wird langsam wieder besser und die Sonne kommt sogar kurz raus. Das beschert uns den schönsten Regenbogen, den ich seit langem gesehen habe.

Ca. 8 km vor dem Ziel dann ein niederschmetterndes Gefühl: Mein linkes Knie schmerzt plötzlich sehr und ich komme kaum noch voran. Ich belaste nur noch das rechte Bein, was bei den Betonplatten, Sand und steilen Anstiegen wirklich nicht leicht ist. Mist! Ich komme mit Ach und Krach irgendwie voran, bin allerdings richtig froh als ich am dritten Checkpoint bin und meine Luftmatratze auf dem Heu ausbreiten kann. Hier gibt es sowohl einen großen Tisch, um den wir abends herumsitzen, reden und ein Abschluss-Bier/Cider trinken sowie auch ein freilaufendes Schwein, ein Hund und ein riesiges Schaf. Zwischendurch kommt der ein- oder anderen Wildtrack-Fahrer herein, der um jetzt schon hier zu sein ordentlich schnell und ohne Pausen durchgefahren sein muss. Wir finden das alle total stark und fragen uns, wie man so etwas schaffen kann. Unsere Gastgebenden erinnern uns dann daran, dass wir „auch ganz schön krass sind“. Eben alles eine Frage der Perspektive. Etwas beduselt vom Cider lege ich mich schlafen und hoffe, dass mein Knie morgen wieder besser ist. Es ist durch den Wind und den Regen ordentlich kalt geworden. Ich kenne das schon, meist geht es am nächsten Morgen weg.

Es ist natürlich nicht weg, am nächsten Morgen. Ich fahre die ersten Kilometer mit P* nach Prenzlau, merke aber schnell, dass ich mich von ihm trennen muss. Ich muss mein (sehr langsames) Tempo fahren und warten bis meine Gelenke warm werden, damit meine Schmerzen verschwinden.  Mist Mist Mist! Mein Knie tut bei jedem Tritt weh, sodass ich weiter nur mit dem rechten Bein fahre. Ein Hoch auf Klickpedale. 120km noch bis zum Ziel. Ich fahre weiter und muss zwischendurch immer wieder anhalten. Ich habe inzwischen mein Halstuch um mein Knie gebunden, um dort etwas mehr Wärme zu haben. Das sieht sehr albern aus, ist mir aber egal. Mein Schmerzgel scheint auch nicht zu helfen und so lasse ich mich nach den ersten 53 km erschöpft vor Schmerz an einen dreckigen Straßenrand fallen und bleibe einfach sitzen. 80 km noch. Wie soll ich das schaffen? Ich rufe meinen Freund an und klage ihm mein Leid. Er sagt ich könne doch einfach in einen Zug steigen und ich merke, dass ich überhaupt keinen Rat will – ich will eigentlich nur jemanden der mir zuhört und bei dem ich meinen Ärger über mein Knie rauslassen kann. Während ich so da sitze fragen mich mehrere Passant:innen ob sie mir helfen können. Ich sehe wohl wirklich nicht gut aus. Frustriert und wütend kann ich mir meinen Tränen nicht mehr verkneifen und leere meine Snack-Bags: zwei Tage alte saure Gummibärchen, weiche Salzbrezeln, Bananenchips und ein paar Pommes von gestern – ich hatte gehört, dass man das beim Langdistanzradfahren so macht (s. Lael Wilcox im Film über die Tour Divide – ein toller Film). Finde ich nicht lecker, aber irgendwie geht es mir dadurch besser und ich fahre weiter. Die Schmerzen werden zwar eher schlimmer als besser, aber inzwischen habe ich sogar das Fahren durch tiefen Sand mit einem Bein gemeistert. Außerdem ist die letzte Etappe wunderschön. Genau so liebe ich Gravel. Es gibt viele Wurzeltrails, Waldautobahnen an Seen und Baumstämme, es ist warm, die Sonne lässt sich wieder blicken und die ein- oder andere Überraschung wartet auf dem Trail („hier geht’s nicht wirklich hoch, oder?“). Es wäre wirklich schade gewesen, hätte ich das alles verpasst.

Auf die letzten Kilometer treffe ich L* mit dem ich das letzte Stück gemeinsam fahre. Ich bin froh ihn zu haben. Es motiviert mich sehr wieder mit jemandem zu Reden und als er mir erzählt, dass die Ersten abgekürzt oder abgebrochen haben, wird mir wieder bewusst, wie irre es schon ist überhaupt zu fahren – egal wann ich ankomme. Gegen Ende schaue ich nicht mehr auf Kilometer oder Uhrzeit. Ich weiß, dass es mir nicht helfen würde – im Gegenteil – dann finge ich an die Kilometer herunterzuzählen anstatt einfach die Natur und das Radfahren zu genießen.

Als wir dann in Bernau einrollen und eine kleine Ehrenrunde durch die Altstadt drehen überwältigen mich meine Gefühle. Irre es wieder hierher geschafft zu haben. In der alten Post erwarten uns sogar ein Eis und kühle Getränke. Außerdem ein paar Mitfahrende, die ich unterwegs schon kennen gelernt habe. Ich bin überglücklich. Ein Foto noch vor der wunderschönen Steppenwolf-Wand muss auf jeden Fall sein.

Zuhause angekommen gönne ich meinem Fahrrad und dann mir ein ausgiebiges Bad in meiner Badewanne. Es ist schön wieder da zu sein, aber ich wäre auch gern noch unterwegs. Ich möchte am liebsten direkt für nächstes Jahr buchen. Vielleicht versuche ich mich dann mal am Wildtrack. Den fahre ich dann allerdings wirklich in 4 Tagen!